Sonntag, 19. Februar 2012
Von der Kunst sich durchzuvögeln
Schuberts Unvollendete dröhnt mir um die Ohren.
Ein Glas Rotwein flankiert mich zur Rechten. Dunkel und sehr trocken.
Zur Linken quillt der Aschenbecher über.
Während ich tippe, klemmt eine blaue Gauloise zwischen meinem Ring- und meinem Mittelfinger.
Jahrelange Übung.
Ich greife zum Glas. Wenn ich zum Glas greife heißt das, dass ich nicht weinen werde.
Mit dem vergießen von Tränenflüssigkeit habe ich schon vor Jahren aufgehört.
Ich bin auf Wein umgestiegen. Gehört ja irgendwie im weitesten Sinne zur Wortfamilie.
Rot wie Blut muss er sein. Dann lohnt sich der Schmerz bei jedem Schluck wenigstens.
Schubert trägt mich fort. Für einen Moment schließe ich die Augen.
Jeden Abend betrete ich die Bühne. Jeden verdammten Abend. Seit nunmehr über zehn Jahren.
Regelmäßig um Punkt 17.00 Uhr beginnt die Vorstellung. Am Wochenende gebe ich sogar Zugaben.
Ich mag nicht mehr. Schon lange ist das Feuer in mir erloschen. Ich glühe nicht einmal mehr. Die Leidenschaft hat sich, nein, ich selbst habe mich auf leisen Sohlen davongestohlen, ohne dass ich etwas davon merkte. Eines Tages wachte ich auf und spürte: ab heute, da ist der Ofen aus. Ich zündete mir eine Zigarette an und inhalierte tief.
So saß ich da zwischen cremefarbenen Laken und starrte in das schmutzige Grau vor unserem Fenster. Ich hatte die dumpfe Hoffnung, dass der heiße Qualm in meinen Lungen vielleicht doch noch etwas zurückbringen könnte, von diesen ehemals heißen Flammen die mich, die uns zwei, einst umzüngelten.
Vergebens.
Das wusste ich.
Dennoch steckte ich mir gleich die nächste an.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Seit diesem Tag bin ich Kettenraucherin. Wider besseren Wissens. Ich rauche und qualme und inhaliere und ziehe und sauge und bete und huste und hoffe so das Feuer wieder zu finden.
Ich ziehe nochmals, bevor ich jetzt dieser Zigarette mit ruppigen Bewegungen im Ascher den Garaus mache. Ich fingere nach der nächsten.
Ich wage einfach nicht nach der Wahrheit zu fragen. Jeden Abend ziehe ich erneut ins Feld uns spiele perfekt. Niemand ahnt etwas von dem Abgrund in mir. Am allerwenigsten Ahnst du etwas davon. Das ist gut so. Ich schiebe es auf. Ich schiebe es vor mir her. Ich finde plausible ausreden. Du warst schon immer eine Herzensguter. Du Vertraust mir. Ich will dich nicht enttäuschen. Es hat ja nichts mit dir zu tun. Nur mit mir. Ich habe mich verloren und ich weiß nicht so genau wo und wieso.
Ich funktioniere. Das habe ich bis zum erbrechen Exerziert. Dahingehend kann ich mich auf mich verlassen. Ich bin Profi.

Ich wachte also eines Tages auf und wusste: Es ist vorbei.
Blöderweise kamen mir diese Worte aber niemals über die Lippen. Kein Sterbenswörtchen habe ich gesagt.
Ich habe einfach weitergemacht wie gewohnt. Ich bin aufgestanden und habe geduscht. Dann habe ich mich um den Haushalt gekümmert. So ging das immer weiter. Wochenlang. Ich redete mir ein, dass im Grunde doch alles wie immer sei. Abends tauschte ich weiterhin liebevolle Gesten, war aufmerksam, gab mich hin und heulte mich anschließend lautlos in den Schlaf. Ich zerfleischte mich, weil ich mir selbst nicht erklären konnte, was mit mir los war. Ich riss mich gnadenlos auf, bis ins Innerste und konnte einfach nichts finden. Rein gar nichts.
So konnte es nicht Ewig weitergehen!
Eines Tages stand ich an der Kasse vom Supermarkt und starrte ins Leere. Sehnsüchtig wartete ich auf die nächste Gelegenheit mir eine anzünden zu können. Ich hob den Blick undefiniert in Richtung Gemüseabteilung und starrte auf einmal in graue Augen. Sie sahen mich aufmerksam an. Dann zogen sie sich unmerklich und fragend zusammen, diese grauen Augen. Mehr sah ich nicht. Nur dieses Grau. Kurz sah ich auf meine Fingerspitzen, die auf dem Griff des Einkaufswagens ruhten. Dann sah ich wieder auf und beantwortete die Frage aus meinen grünen Augen, gab grünes Licht.
Wir trafen uns draußen. Im Zwielicht. Zwischen den Autos. Es ging ganz schnell. Es war wunderbar. Ich spürte mich nicht. Er schob mir den Rock hoch, den Slip zur Seite und seinen Schwanz rein. Dann fickte er mich. Ich fixierte seine grauen Augen, während er mich hart stieß. Ich spüre, wie es ihm kam. In mir. Ich labte mich an seinem Saft. Er zog sich nach einem Moment des Verharrens aus mir zurück. Langsam quoll seine Hitze aus meinem Inneren hervor, meine Schenkel entlang. Seine kühlen Lippen streiften mein Ohr, als ich mich von ihm wegdrehte, um seinem, für diesen Augenblick allzu unpassenden Kuss, zu entgehen.
Ich schob meinen Rock zurecht und ging wortlos.
Etwas hat sich damals in mir gelöst. Ein Funken Erleichterung war spürbar. Ein Funken Wärme, ein Funken Hoffnung. Funken, um Funken glomm auf, ich hoffte sie festhalten zu können, hoffte das Feuer wieder zu entfachen. – Vergebens.
Ich sollte Seufzen. Aber das habe ich aufgeben. Genauso wie das Weinen.
Ich nehme mir eine Zigarette, zünde sie an, nehme einen Zug. Ich bin gerade eben heimgekommen. Ich weiß nicht wo ich war. Es ist auch egal. Ich streife durch diese Stadt, durch die Strassen und im Grunde ist es egal.
Ich funktioniere und suche und nutze jede Gelegenheit zum Funkenflug.

Seit diesem Tag auf dem Parkplatz verweigere ich mich meinem Mann konsequent. Aber Abseits dieser Bastion liefere ich die beste Ehefrau.
Ich gebe mich jedem hin. Jedem. Ungefragt. Eines Tages, so hoffe ich, werde ich mich wieder finden. Ich ging irgendwo verloren.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, denke ich und Schuberts Unvollendete treibt mir die Tränen in die Augen.
Schnell greife ich zum Rotweinglas.



Samstag, 18. Februar 2012
Warteschleifen
Auf der Autobahn des Lebens staut es sich mal wieder.
Gewaltig.
Zähflüssig.
Verdammt!
Entnervt puste ich mir eine Ponysträhne aus dem Gesicht. Ich sehe übrigens mit Haarsträhnen im Gesicht alles andere als Verführerisch aus, wie es einem sonst immer in diesen Romanen suggeriert wird. Nein, ich sehe damit eher ein wenig behämmert aus.
Eigentlich ist die Autobahn des Lebens auch gerade eine klitzekleine Übertreibung. In Wahrheit stehe ich gerade an einem wunderschönen Samstagmorgen an der Supermarktkasse an. Hier ist es allerdings genau so wie sämtlich und sonders beschrieben: ich habe mir wie immer die allerallerlangsamste Kassiererin mit den allerallerumständlichsten Kunden herausgesucht. Es schneckt also so vor sich hin.
Dahingehend ist meine Intuition einfach nicht zu überbieten. Immer wieder gelingt es mir mit einer spielenden Zielsicherheit die Kasseschlange herauszusuchen an der sich münzwühlende Rentner, nach Süßigkeiten quäkenden Kleinkinder in symbiotischer Verschlingung mit der jeweiligen Mutter, Menschen mit der elenden Ruhe weg und kompliziert eskalierungswütige Reklamationstypen tummeln.
Tja. Nun ja. Stoisch staue ich also vor mich hin. Die Schlange wechseln bringt nichts. Diese Einsicht beruht auf langjähriger Erfahrung: Ich ziehe Umständlichkeiten und Verzögerungen magisch an.
Ich puste erneut die haarsträubende Strähne aus dem Gesicht und seufze leise. Langsam wird mir auch noch unangenehm warm in meiner Winterjacke. Ich tripple nervös von einem Fuß auf den anderen.
In meiner Wohnung wartet der Lover des Jahrtausends und ich verbummle wertvolle Lebens- und Liebeszeit, nur weil ich ihn mit Lachs und Sekt zum Frühstück beeindrucken will.

Ihn, habe ich gestern auf einer Hochzeit kennen- und sofort lieben gelernt.
Oh, er ist einfach der Tollste und Beste und Schönste. Das habe ich sofort gespürt. Hier kann ich mich immer voll und ganz auf meine Intuition verlassen. Ehrlich.
Gut.
Als ich die Einladung von Susi und Frank erhielt, die sich an einem Freitag dem 13. das Ja-Wort geben wollten, war ich nicht hundertprozentig überzeugt, ob das wirklich so eine gute Idee sein würde. Jetzt, im Nachhinein betrachtet, da er sich gerade noch schlafend zwischen von unseren Liebessäften durchtränkten Laken befindet, denke ich: Danke Gott, dass es Freitag den 13. gibt. Am Freitag den 13. muss Gott die Traummänner erschaffen haben, denke ich gerade und packe verträumt Lachs und Sekt aufs Fließband und fließe gemeinsam mit ihnen dahin. Dann werde ich gnadenlos in die Realität zurückkatapultiert. „HAAAALLOOOOOO, junge Frau! Das macht dann 8 Euro 68 Cent! Und zum hundertsten Mal, haben sie eine Payback Karte?“ Die Kassiererin schaut mich fragend an. Auch die Leute hinter mir schauen mich fragend an. „Oh, ach…äh…“ mir dämmert, dass ich gedanklich wohl wesentlich länger dahingeflossen bin als der Wildlachs und der Sekt auf dem Fließband. Peinlich berührt ob meiner Träumerei wühle ich nach den passenden Münzen. Mist. Ich dachte eigentlich, ich hätte noch genügend Bargeld. Seufzend ziehe ich die EC-Karte hervor und die Kassiererin zieht sie wiederum durch. Nichts passiert. Hitze steigt in mir auf. Im Kopf rattert es. Eigentlich müsste doch noch genug drauf sein, oder?! Oh, warum habe ich mir nur wieder diese sündhaft teuren Schuhe gekauft?! – Weil ich sie brauchte! Also, zumindest dachte ich in dem Moment, dass ich sie brauchte. In meinem Kopf rattert es also, während meine Karte nochmals durch den Schlitz gezogen wird. In der Schlange hinter mir kommt
Unruhe auf.
Nur mit viel Gehauche und Reiberei auf Seiten der Kassiererin und mehrfache Stoßgebete meinerseits, nimmt dieses blöde Kartenlesegerät dann endlich mein Plastikgeld an.
Hektisch raffe ich nun meine sieben Sachen zusammen. Ich will endlich zurück zu ihm, in mein warmes, weiches Kuschelbett und mich an sein wundervolles Waschbrett schmiegen. Verklärt schwebe ich zum Ausgang hinaus und nach Hause.



Sonntag, 12. Februar 2012
Mucksmäuschengrau
Heute morgen werden, bzw. wurden die Fingernägel zur Feier des Tages grau lackiert.
Blöderweise ist es dabei wie so oft: meine ungeduld verhindert ein vernünftiges abtrocknen der Oberfläche, so dass selbstverständlich in null komma nix die erste Macke im Lack ist.

Kurz schwankte ich, ob ich mir überhaupt die Mühe machen sollte in minutenlanger Zitterpartie die Farbe auf meine werten Fingerspitzen zu bringen. die Linke wie immer besser bepinselt als die Rechte. Was daran liegt, dass ich Rechtshänderin bin - als Kind sagte ich übrigens, noch bis in meine frühen Jugendjahre, "Rechtshändlerin". Was auch immer das ist, eine Rechtshändlerin.
Genausowas wie eine Postleihzahl und ein Rückrad vermute ich.
Das sind noch so zwei Wörter, die sich in meinem frühkindlichen Wortschatz manifestierten.

Wie dem auch sei, ich entschied mich, dass es die Mühe wert sei die Fingerspitzen mit Farbe zu betupfen und schlurfte an den Kühlschrank - ich habe mal in irgendeiner Frauenzeitschrift aufgeschnappt, man solle Nagellack im Kühlschrank aufbewahren und dann mal in einer anderen, man solle das auf gar keinen Fall tun. Ich bewahre ihn jedenfalls dort auf, denn man soll ja seinen Kühlschrank auch nicht ohne Inhalt laufen lassen (oder war es das Eisfach?!). Diese Info jedenfalls, habe ich ebenfalls mal irgendwie und irgendwo aufgeschnappt, also habe ich seitdem mal sicherheitshalber tonneweise Sekt und Lack drin. Man weiß ja nie... aber ich schweife ab.

Also, ich schlurfte zum Kühlschrank und schwankte dann für einen kurzen Moment zwischen dem fröhlichen Hello-Kitty-Pink und eben diesem wundervollen Murkschlammpfützengrau.

Mittlerweile ist der Lack übrigens trocken. Ich habe mir angewöhnt nur noch den extra schnell trocknenden Lack zu kaufen. Alles andere wäre sinnbefreit.
Nun sitze ich hier, die Nägel in mucksmäuschengrau (genauso fühle ich mich nämlich) getaucht und versuche dem Leben etwas positives abzuringen.
Das geht aber eher schlecht, wenn man sich so mies fühlt.
Mies-an-tropisch.
Ich seufze und beschließe jetzt und in dieser Sekunde diesen Blog, dann doch endlich öffentlich zu machen.
Augen zu und durch junge Frau!
- An dieser Stelle verhaspelt sich mein tippender Zeigefinger in der Tastatur.
Es wird deutlich: der Lack war eben doch nur oberflächlich trocken.
Eine sichelförmige Macke ziert nun die Spitze aller Zeigefreudigkeit.
Na toll!
Egal.
Es muss ja auch nicht immer alles perfekt sein.
Man darf auch zu seinen kleinen, wie großen Macken stehen!
Hurraaaaaaaaaaa!
Also dann...
auf in die virtuelle Wirklichkeit.